Myanmar - Seit dem Staatsstreich im Februar 2021 lebt Myanmar in fast ständiger Ungewissheit. Hoffnung und Verzweiflung liegen dicht beieinander.
Beim Ausstieg aus dem Flugzeugs in Yangon umhüllt mich sofort die schwüle Luft. Es ist fünf Jahre her, dass ich wegen des Coronavirus und des Staatsstreichs das letzte Mal birmanischen Boden betreten habe. Vor meiner Ankunft war ich etwas ängstlich. Was würde ich vorfinden?
Aufgrund der Informationen, die ich über die Lage in Myanmar gesammelt hatte, erwartete ich, dass ich bei meiner Ankunft Veränderungen wahrnehmen würde. Ich stellte schnell fest, dass dies nicht der Fall war, zumindest nicht auf den ersten Blick. Die Läden sind offen und gut bestückt. Die Fahrzeuge bleiben zu Stosszeiten in Staus stecken. Die Internetgeschwindigkeit ist verblüffend und die Polizeipräsenz ist optisch immer noch kaum wahrnehmbar. Diese Scheinwelt verschwindet, sobald man genauer hinsieht: Die Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschossen - ein Bündel Zwiebeln kostet fünfmal mehr. Ab acht Uhr abends sieht man kaum noch jemand auf den Strassen – Gerüchte besagen, dass die Armee junge Männer entführt, um sie an die Front zu schicken. Man sieht keine Flaggen der politischen Partei von Aung San Su Kyi mehr, die früher allgegenwärtig waren. Und vor allem sieht man keine westlichen Touristen.
Sobald man jedoch den Fernseher einschaltet, wird einem klar, dass die Situation alles andere als normal ist und dass anderswo im Land nicht dem entspricht, was ich in Yangon beobachte.
Die Aufrufe zur Denunziation und die ständige Verwendung des Wortes „fake news“ lassen mich aufhorchen. In Gesprächen mit verschiedenen Birmanen ist es offensichtlich: Hinter einer Scheinresignation brodelt es in der Bevölkerung und jede Entwicklung des Konflikts wird genauestens verfolgt. Besonders in den Randgebieten, unter anderem in unseren beiden Interventionsregionen, toben die bewaffneten Kämpfe. Sie scheinen sich auszuweiten und immer näher an die städtischen Zentren heranzurücken.
Aufgrund der äusserst angespannten Sicherheitslage und der Unmöglichkeit, eine Genehmigung zu erhalten, konnte ich die von uns unterstützten Projekte leider nicht besuchen. Dank des regen Austausches mit unserem strategischen Partner vor Ort kann ich sagen, dass keines von ihnen zerstört wurde und dass lediglich die Schule des Dorfes von Uh Yin einige Einschusslöcher aufweist. Aber alle Schulen und Gesundheitszentren sind seit drei Jahren geschlossen, mit Ausnahme der Schulen in Darkhai und Tuikhiang, die sich in einem Gebiet befinden, das von einer pro-junta Miliz, kontrolliert wird. Myanmar ist zu einem Flickenteppich aus verschiedenen Milizen geworden. Es entwickelt sich ständig weiter und es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten.
Die Bevölkerung zahlt einen hohen Preis für diese Instabilität, insbesondere die jungen Leute. Sie wandern immer öfter in die städtischen Zentren und sogar aus dem Land in Richtung Malaysia oder sogar in die USA ab. Diese Situation dauert schon viel zu lange, ohne dass ein mögliches Ende absehbar ist.
Xavier Mühlethaler
Übersetzt von Susanne Leparoux